Von großen und kleinen Systemen – Teil 1
Unser Das Schwarze Auge-Redakteur Johannes verrät, in welchen Rollenspieluniversen er sich am wohlsten fühlt – und erklärt dabei auch, warum das so ist!
Pen-&-Paper-Rollenspiele sind eine äußerst vielseitige Freizeitbeschäftigung. Die Zeiten, als Rollenspiel unweigerlich bedeutete, sich mit echten Freunden gemeinsam durch imaginäre Verliese zu schnetzeln und fiktive Drachen zu erlegen, sind längst vorbei. Wie soll man jedoch bei der schieren Fülle von Regelsystemen, Genres und Spielwelten noch den Überblick behalten?
Mit der Theorie hinter dem Themenkomplex Rollenspiel und sinnvollen Kategorisierungen beschäftigen sich viele kluge Bücher von vielen klugen Menschen. Auf die will ich hier allerdings überhaupt nicht hinaus. Stattdessen möchte ich verraten, welche Rollenspielsysteme ich am liebsten mag und was mich daran jeweils fasziniert. Dabei stellt die nachfolgende Reihenfolge keine Wertung dar, und überhaupt möchte ich zu Protokoll geben, dass ich hier meine ganz persönliche Meinung wiedergebe, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Allgemeingültigkeit oder Objektivität. Und wie eine Rollenspielrunde sich anfühlt und welche Spielerbedürfnisse sie priorisiert, ist selbstredend auch völlig individuell!
Die Spitze der Immersion: Das Schwarze Auge
Als Redakteur für Das Schwarze Auge ist es wohl keine Überraschung, dass das größte deutsche Rollenspiel auf meiner Liste auftaucht. Wenn es um die Ausgestaltung der Spielwelt geht, ist Aventurien kaum zu übertreffen. In bald vier Jahrzehnten haben Hunderte von Menschen an dem Kontinent und seinen Nachbarn gearbeitet und zahlreiche ihrer Aspekte bis ins kleinste Detail beschrieben. Damit ist für das Rollenspiel eine ungemein ergiebige Bühne bereitet, und jeder, der bereits einmal einen Quellenband für Das Schwarze Auge gelesen hat, weiß, wie viel Inspiration für spannende Geschichten und interessante Charakterkonzepte man aus dieser Beschreibungsdichte ziehen kann.
Aventuriens große Stärke liegt für mich in ebendieser Beschreibungsdichte. Es ist einfach, sich in einer so detailreichen Welt zu verlieren. Für Spielleiterinnen bietet es eine enorme Sicherheit, auf eine so gut ausgearbeitete phantastische Welt zurückgreifen zu können, und auch wenn Aventurien im ersten Moment einschüchternd auf Neuankömmlinge wirken mag, ist es dank des immensen Hintergrundmaterials nicht schwer, sich nach Belieben einzuarbeiten. Dabei muss am Tisch beim gemeinsamen Spiel aber nicht gleich alles perfekt laufen. Niemand – und das schließt die DSA-Redaktion ein – kann den Inhalt sämtlicher DSA-Publikationen stets perfekt aus dem Gedächtnis abrufen. Zudem sollte man nie vergessen, dass jede Spielrunde mit ihren eigenen Abenteuern ihr persönliches Aventurien gestaltet, das sich durchaus vom offiziellen „Aventurien mit Vanillegeschmack“ unterscheiden darf. Unsere Arbeit als Redaktion stellt euch lediglich eine Bühne und ein paar Requisiten zur Verfügung – das Drehbuch und die letztendliche Aufführung stammen ganz allein von euch!
Ebenso verhält es sich übrigens für meinen Geschmack mit dem enormen Regelunterbau von Das Schwarze Auge. Zum einen schätze ich, dass der Wahrscheinlichkeitsmechanismus der Proben nicht auf den ersten Blick durchschaubar ist und somit langfristig interessant bleibt. Außerdem gibt es für so ziemlich jede noch so absurde Spielsituation und jedes Vorhaben deines Charakters irgendwo detaillierte Regeln, wie das Ganze mit Würfeln abgebildet werden kann. Aber das ist genau der springende Punkt, es kann so abgebildet werden. Kaum eine Spielrunde wird Spaß daran haben, zu jedem Zeitpunkt auf alles zurückzugreifen, was das Spielsystem bietet. Ich halte es für viel sinnvoller, das DSA-Regelsystem weitestgehend als Süßwarengeschäft zu begreifen, in dem sich jeder an den Leckerbissen bedient, die ihm schmecken. Wenn die Lakritze dann unangetastet liegenbleibt, ist das in Ordnung, oder etwa nicht? Selbstverständlich müssen spielfertige Abenteuer sinnvolle Regelmechanismen für die Auflösung handlungswichtiger Situationen vorgeben. Aber wenn mir die Abhandlung eines komplexen Gesprächs zwischen Helden und Meisterpersonen mit einer bloßen Sammelprobe zu trivial erscheint, was hält mich davon ab, am Spieltisch einen Mechanismus zu finden, der besser zu meinen Vorstellungen und jenen meiner Spieler passt?
Zu guter Letzt sei ein dritter Punkt angesprochen, der mich immer wieder zu Das Schwarze Auge zurückbringen wird: die Charakterentwicklung. Allein schon die Heldenerschaffung bietet eine schier unüberschaubare Fülle an Möglichkeiten, keine zwei Charaktere gleichen einander jemals und es gibt keinen „besten“ Weg, seinen Helden zusammenzubasteln. Immer wenn ich einen neuen DSA-Helden erschaffe, mache ich mir bereits von Anfang an Gedanken darüber, wie sich seine Fähigkeiten später entwickeln und so die zugrundeliegende Motivation fürs Heldentum unterfüttern. Wenig ist befriedigender im Rollenspiel, als einem liebgewonnenen Charakter beim Wachsen zuzusehen, und das DSA-Regelsystem ist dank seiner Individualisierbarkeit und Modularität perfekt dafür geeignet, sich eine längerfristige Persona aufzubauen – oder auch mehrere!
Das Schwarze Auge ist etwas für mich, wenn …
- … ich in eine phantastische, facettenreiche und lebendige Welt eintauchen möchte.
- … ich Setzungen und Regeln nicht als einengende Fesseln, sondern als Inspiration begreife.
- … ich meinem Helden dabei zusehen möchte, wie er in seine angestrebte Rolle hinein- und dann darüber hinauswächst.
erfahrt bald, welche Spiele zu meinen Top-3 gehören, euer Johannes Kaub.