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Hedonist, Provokateur, Sünder: Das Levthan-Vademecum

Levthan: Hedonist, Provokateur, Sünder. Blogartikel 07.12.22
3. Dezember 2022

Levthan ist in fast 40 Jahren Das Schwarze Auge-Geschichte womöglich die umstrittenste Gottheit Aventuriens. Viele aventurische Figuren, die bislang in seinem Namen aufgetreten sind, waren recht unsympathische Gestalten und Schlimmeres. Ein nicht geringer Teil der DSA-Spieler:innen hadert mit dem sehr eindimensionalen Bild, das von Levthan gezeichnet wurde. Doch gibt es nicht noch mehr über ihn zu erzählen?

Mit dem Sternenfall änderte sich die inneraventurische Bedeutung des Halbgottes Levthan schlagartig. Er kann nun Karma an diejenigen seiner Anhänger verleihen, die er persönlich für würdig erachtet. Damit wurde es Zeit, sich noch einmal ausgiebig mit dem Widdergott zu beschäftigen.

David Frogier de Ponlevoy, Lisa Schaude und Diana Rahfoth haben sich dieser Aufgabe angenommen und über Monate am Levthan-Vademecum getüftelt. Das entstandene Buch enthält Ausgestaltungen von bereits früher gesetzten Inhalten, Neuinterpretationen und vielfältige, bislang vernachlässigte Aspekte Levthans. Dazu soll es aufzeigen, wie sich der Levthankult in verschiedenen Regionen Aventuriens entwickelt hat sowie abwechslungsreiche Ansätze liefern, wie ein gruppenkompatibler Levthangeweihter gespielt werden könnte.

Der Gehörnte Gott

Levthan, der Gehörnte Gott
Levthan von Nadine Schäkel

»Religion ist vielfältig. Selten leben zwei Menschen ihren Glauben identisch aus. Mir war wichtig, viele Facetten anzubieten. Ich betanke mich beim Schreiben immer mit Inspiration durch aventurische Quellen, aber in diesem Fall mit Büchern über Pan, Dionysos, gehörnte Götter oder sogar Loki. Das Spannende an Das Schwarze Auge aber ist, dass es am Ende immer sein eigenes Flair hat.«

—David

Schon nach der ersten Recherche war uns schnell klar, dass wir das festgefahrene Bild zu Levthan aufbrechen mussten, um Geweihte des Widdergottes spielbarer zu machen und Levthan mehr Tiefe zu verleihen – allerdings wollten wir seine düstere Aura nicht aventurienweit verwässern oder seine Vergangenheit unter den Teppich kehren.

Wir als Autorenteam haben anfangs jeder für sich sämtliche Quellen durchforstet, die wir in die Finger bekommen haben (unsere Quellendokumente umfassen insgesamt über 90 Seiten Notizen!). Wir wollten im Band möglichst viele alte Fäden aufgreifen, sinnvoll in ein Gesamtbild einfügen und das Ganze mit eigenen Ideen spicken, um daraus weitreichenderes Material zur Ausgestaltung und zum Kennenlernen des Kultes, seiner Mythen und Strömungen anzubieten.

Verschiedene Autor:innen in der Vergangenheit hatten recht unterschiedliche Vorstellungen von Levthan. Einige haben interessante Samenkörner gepflanzt. Manches war widersprüchlich – aber das sind irdische Mythen und Überlieferungen gewöhnlich auch. Aus all dem Wildwuchs galt es dann, Levthan eine wiedererkennbare Gestalt zu geben, ihn weiterzuentwickeln. Denn tatsächlich: Er ist an manchen Stellen zwar schillernder, als man vielleicht denkt, an anderen aber doch in der Vergangenheit vergleichsweise blass geblieben, und wir dachten uns: Aus beidem lässt sich etwas machen.

Schuld und Sühne

Wir sahen uns auch Diskussionen in den sozialen Medien und auf anderen Diskussionsplattformen im Netz an, um einen Eindruck zu gewinnen, wie Levthan von Fans bewertet wurde. Wir wussten, wir würden es am Ende nicht jedem recht machen können, aber die Vielzahl an Meinungen hat uns geholfen, den eigenen Wahrnehmungshorizont zu erweitern. Gereizt hat Levthan uns alle drei. Seine reichhaltigen Aspekte lassen so vielfältig interpretierbare Anhänger seines Glaubens zu, dass wir uns bald sicher waren, damit eine schier endlose Anzahl unterschiedlicher Charakterkonzepte inspirieren zu können.

Jeder von uns hatte nach der Quellenrecherche seine eigenen Schwerpunkte der Levthaninterpretation gefunden und wollte diese natürlich gerne im Vademecum umsetzen. Vermutlich hätten unsere Ideen ein weiteres Vademecum gefüllt. Wir haben zwar die Kapitel untereinander aufgeteilt, uns danach aber gegenseitig redigiert, ergänzt, gestrichen oder erweitert – kurz: sehr viel diskutiert.

Als inneraventurischer Autor dient uns der Priester des Weins Krios von den Zyklopeninseln, der durch Aventurien reist, um die vielen Strömungen und Interpretationen seines Glaubens zu begreifen und damit auch seinen Gott besser zu verstehen.

Zierelement 2 Levthan Vademecum
Zierelement von Katharina Niko

Der Sündenfall

»Einer der spannendsten Vorgänge war für mich die Entwicklung meines eigenen Levthanbildes über die gesamte Schaffensphase. Mein Wissen um Levthan war von der Satuarialegende geprägt, doch bereits die Quellenrecherche hat so viel Interessantes zutage gebracht, dass ich mich mit jedem neuen Text, jeder Diskussion und jedem geschriebenen Wort dem Widderhäuptigen besser annähern und für ihn begeistern konnte.«

—Lisa

„Wer ist Levthan?“ So lautete unsere Kernfrage. Vereinfacht gesagt nehmen viele DSA-Spieler:innen Levthan als eine Art „Rahja 2.0, nur besoffener und unflätiger“ wahr. Damit ist er für den Spieltisch nahezu überflüssig. Eine der Aufgaben lautete also: Redundanz zu Rahja verringern und andere Schwerpunkte setzen oder betonen. Aber das war nicht die größte Herausforderung.

Zu Levthan existiert ein inneraventurischer Mythos, laut dem er der Hexengottheit Satuaria sexuelle Gewalt angetan hat. Wie sollten wir damit umgehen? Das Thema zu verschweigen oder unter den Teppich zu kehren, zu verharmlosen oder ihm auszuweichen ist aus vielen Gründen keine Option. Und eine Spielwelt darf Grenzüberschreitungen beinhalten. Mythen dürfen gewalttätig sein – das sind sie irdisch oft ebenfalls. Das Problem ist somit nicht der Mythos an sich, sondern vielmehr, wie damit umgegangen wird – und welche Funktion er für die Geschichte der Welt und das Rollenspiel erfüllt.

Die entscheidende Frage ist: Was passiert nach der Tat? Was sind die Konsequenzen, das Nachspiel, die Lehren, die aus ihr gezogen werden? Aktuell ist Levthan ein erweiterter Teil des Zwölfgöttermythos, ein regeltechnischer Gott, und damit braucht es eine klare Abgrenzung zu dämonischen Aspekten. Levthan hat Unrecht getan, was ihn in seiner Rolle als kosmische Entität erzählerisch von Dämonen unterscheidet, sind Reue und Reflektion.

Was folgt aus seiner Geschichte für die Zwölfe? Sie sind zwar nicht zwangsläufig in allem, was sie tun, moralisch gut, aber einen Frevler hätten sie eindeutig nicht an ihrer Seite in Alveran geduldet. Gewalt oder Streit hat es vermutlich zwischen Satuaria und Levthan gegeben – aber wie hat das ausgesehen und was konnten Sterbliche davon überhaupt mitbekommen? Wurde Levthan von den anderen Göttern bestraft? Bestrafte er sich selbst? Hatte er über Äonen an Macht eingebüßt und ist erst jetzt geläutert zurückgekehrt? Ist sein Fall überhaupt verzeihlich? Oder war doch alles ganz anders? Wir möchten zu alldem neue, schlüssige Deutungsräume ermöglichen. Mythen sind von Menschen gemacht, und Menschen können irren und zu unterschiedlichen Schlüssen kommen, vor allem wenn es um Götter geht. Auch darin liegt ein Reiz von Mythologie.

Zierelement von Katharina Niko

Die Natur des Gehörnten

Neben solchen Kernherausforderungen haben wir versucht, die Andersartigkeit Levthans zu betonen und Facetten hervorzuheben, die in dieser Form bisher wenig Beachtung erfahren haben. Viele Aspekte Levthans sichern das Überleben und haben einen wild-animalischen Zugang: Wollust und Zeugungswillen, das eigennützige Verteidigen von Revier und Herde, das impulsive Vertreiben von Nebenbuhlern mittels Dominanz und Macht.

In allem, was lebt, herrscht auch Levthan, was ihn zu einer unterschätzten Entität macht. Levthan ist außerdem ein Gott der Außenseiter, der Verstoßenen, ein Gott, der Moral und Regeln hinterfragt, der Konsequenzen trägt und dennoch seinen Willen an erste Stelle setzt.

Man muss Levthan nicht mögen, und jeder am Spieltisch darf auch weiterhin Levthangeweihte spielen, die egoistisch und grenzüberschreitend sind. Aventurien bleibt ein Ort, an dem es auch dunkle Charaktere gibt und Menschen moralisch fragwürdigen Ideen anhängen.  Levthan kann gerade aufgrund seiner Geschichte von Unrecht und Strafe eine Zuflucht für Ausgestoßene und Verachtete sein.

Seine Geweihten agieren dominant bis animalisch, bisweilen auch betrügerisch. Auch prahlende, saufende und Grenzen überschreitende Egoisten können im richtigen Moment Helden sein. Solche Gegensätze können spannendes Rollenspiel ausmachen: selbstbezogene Selbstdarsteller, die heldenhaft agieren – oder als Schmarotzer und Säufer verkannte Philosophen, hinter deren Fassade viel mehr steckt, als man zunächst denken mag.

Mockup Levthan Vademecum
Covermotiv von Nadine Schäkel

Auf ins Abenteuer!

»Mich hat die urtümliche Seite Levthans gepackt und ich denke, über tierisches Verhalten und die Unbarmherzigkeit und Schöpfungskraft der Natur kann man einen nachvollziehbaren Zugang zu seinem Wesen finden. Die Mythen um seine Vergangenheit und entsprechende Deutungen fand ich ebenso herausfordernd wie rätselhaft-spannend, dazu die berauschenden Riten der Gehörnten und den Ruf nach Alef Aytan in Fasar. Reizvoll war, aus losen Enden bestehender Quellen und neuen Ideen etwas Rundes zu backen.«

—Diana

Unser Versuch, Levthan aus verschiedenen Winkeln zu beleuchten, ohne dabei sein schlechtes Image radikal auszubügeln, ist uns hoffentlich gelungen. Wir laden jeden herzlich dazu ein, Levthan mit uns neu kennenzulernen und ihn dadurch auch aktiver im eigenen Aventurien einzubinden.

Auch wenn der eine oder andere es nach wie vor vielleicht nicht ganz glauben kann: Es lohnt sich!

Das Levthan Vademecum findest du jetzt im Das Schwarze Auge-Crowdfunding Die Gunst der Göttin:

David, Lisa und Diana, Autor:innenteam des Levthan-Vademecums

Zoe Adamietz
ÜBER DEN/DIE AUTORIN

Ergründet Antworten auf die großen Fragen des Redaktionsdaseins: Mache ich ein Buch darüber, und wenn ja: wie viele? Neben der Entwicklung von Spielhilfen für Das Schwarze Auge beschäftigt sie sich vor allem mit Konzeptarbeit, Fan-Feedback, Social Media und dem Collector’s Club.

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